Haushaltsrede des Fraktionsvorsitzenden Thaddäus Kunzmann
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Fridrich,
sehr geehrte Damen und Herren,
OB Dr. Fridrich hat uns das Schreiben der diesjährigen Haushaltsrede mit seiner Interpretation von Kassandra- und Unkenrufen nicht gerade leicht gemacht.
Da bleibt jetzt nicht mehr viel Spielraum für uns, die einfach nur ein schlechtes Gefühl dabei haben, welchen Weg z.B. in die Verschuldung wir gehen.
Dabei geht es Nürtingen sogar gut. Wir haben eine Aufbruchsstimmung.
- Mit dem Stadtbalkon - ob nun ganzjährig autofrei oder nicht -,
- einer sanierten Fußgängerzone mit neuen Ladengeschäften,
- dem bald sanierten Nürtinger Tor mit hoffentlich attraktiven Einkaufsgeschäften,
- mit neuen Cafés und Restaurants nicht alleine am Neckar,
- dem von uns als CDU mehrfach beantragten Abendmarkt, der einen tollen Start hatte
- oder einfach auch nur mit einer positiven Ausstrahlung unserer Stadtspitze, die sich jetzt auch auf die Menschen hier überträgt:
Nürtingen ist wieder in. Genau dafür geht unser erster Dank an OB Dr. Fridrich, der ja die personifizierte Aufbruchsstimmung ist, an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung. An den City-Marketingverein um den rastlosen Frank Schweizer, dessen Geschäftsstelle, die risikobereiten Ladeninhaber, Gastronomen und an die Menschen in Nürtingen, um Nürtingen und um Nürtingen herum, die unsere Stadt gerade neu entdecken.
Es gibt aber auch ein Leben außerhalb des Stadtbalkons. Nach Nürtingen kommen neue Betriebe und siedeln Arbeitsplätze an. Es war eben doch richtig, auf den heiß umkämpften Großen Forst zu setzen!
Also, Nürtingen und uns geht es gut.
Ein Wermuttropfen bleibt - und der ist für uns wirklich ein Manko: Der Wohnungsbau tritt auf der Stelle. Dabei geben wir uns so viel Mühe, möglichst viel zu regeln. Wir machen Infrastrukturabgaben, Wertschöpfungsabgaben und Sozialquoten.
Jedes private Bauvorhaben wird wie eine heiße Kartoffel behandelt, so, als müsste sich ein Bauherr dafür entschuldigen, Geld in Nürtingen ausgeben zu wollen. Wir reden von Verdichtung, aber wehe, es will einer verdichten. Dann wird alles so fürchterlich kompliziert.
Man kann auch zu viel wollen - und am Ende nichts bekommen.
Wir müssen im Moment um jeden dankbar sein, der baut. Zwar lässt das sehr hohe Preisniveau im Immobilienbereich etwas nach. Das betrifft aber jetzt vor allem Bestandsgebäude. Das ist eine gute Nachricht. Das lindert auch etwas den Mietdruck.
Im Neubau haben wir es aber mit einer sehr hohen Kostensteigerung zu tun - im Vergleich zum Vorjahr sind es 20 Prozent. Das Immobilien-Zinsniveau ist in relativ kurzer Zeit auf über 3,5 Prozent gestiegen. Das Vergleichsportal Check24 hat vorgerechnet, dass bei einer Baufinanzierung von 400.000 Euro und einem Zinssatz von 3 statt einem Prozent nach 10 Jahren fast 79.000 Euro zusätzliche Kosten anfallen!
Das führt jetzt im Ergebnis dazu, dass immer mehr Bauvorhaben auf Eis gelegt werden. Als CDU haben wir uns sehr dafür eingesetzt, dass die Stadt ihre Baugrundstücke – anders als z.B. Wendlingen – nicht im Höchstwertverfahren, sondern zum Festpreis, aber unter Gesichtspunkten der Eigentumsbildung für junge Familien vergibt. In Zeiten einer um sich greifenden Inflation ist Eigentum wertbeständig.
Wenn die Mittelschicht kein Eigentum mehr bilden kann, steht es schlecht um unsere soziale Stabilität.
Spätestens jetzt - das möchte ich doch jenen, die sich so sehr eine eigene städtische Wohnbaugesellschaft als eierlegende Wollmilchsau herbeisehnen ins Stammbuch schreiben - spätestens jetzt wäre diese Wohnbaugesellschaft am Ende. Man kann nicht ohne Eigenkapital bauen - und man baut heute auch nicht mehr günstig.
Diese städtische Wohnbaugesellschaft wäre ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft. Eine Hypothek, die nachfolgende Generationen zu bezahlen hätten.
Herr Oberbürgermeister, war das jetzt ein Unken- oder ein Kassandraruf? Wir sind noch immer der Überzeugung, dass sich die Stadt beim Wohnungsbau Partner ins Boot holen soll, die erfahren sind. Anstatt die Grundstücke über Jahre zurückzuhalten - wie z.B. im Gänsslesgrund und an vielen anderen Stellen in der Stadt auch -, die Flächen ausschreiben und sich Partner suchen, die das bauen, was wir wollen. So geht alles schneller und reibungsloser.
Die Bahnstadt entwickelt sich weiterhin gut. Wir danken dem Amt für Wirtschaftsförderung, Liegenschaften und Bürgerbeteiligung für das konsequente Abarbeiten immer neu auftretender Hindernisse. Auch wenn wir uns von unseren zum Teil hochfliegenden Plänen verabschieden müssen: Es sollte uns doch gelingen, bis 2027 - also immerhin in noch fünf Jahren - wenigstens einige Wohnhäuser zu erstellen.
Wenn alles nach Plan läuft - aber es läuft ja nie alles nach Plan -, dann hat Nürtingen bis Ende 2026 rund 70 Mio. Euro Schulden. So weit wird es hoffentlich nicht kommen. Entscheidend wird in Zukunft sein, ob wir den deutlich höheren Zins und die Tilgung bedienen können.
Und deshalb sehen wir alle Verschlechterungen unserer Einnahmen-/Ausgabensituation kritisch. Wir lehnen Steuererhöhungen ab.
Die Bürger sind genug belastet. Das heißt für uns auch, dass wir sicherstellen wollen, dass aus der Reform der Grundsteuer keine versteckten Mehreinnahmen für die Stadtkasse generiert werden. Diese Reform führt sowieso zu Verwerfungen insbesondere zu Lasten älterer Eigentümer mit ihren Häusern. Da muss dann nicht noch ein Nürtinger Zuschlag obendrauf.
Wir erwarten, dass unser diesbezüglicher Antrag im Rahmen der Haushaltsberatungen aufgerufen wird.
Wir stehen zu allen Investitionen, die im Plan stehen. Zum einen, weil wir sie sowieso nicht mehr stoppen können. Und zum anderen, selbst wenn: Wir erreichen nichts damit.
Zum einen gibt es rentierliche Investitionen, z.B. in Photovoltaikanlagen, die sich bereits nach wenigen Jahren rechnen - bei den Strompreisen der Zukunft sowieso.
Zum anderen, weil wir in Bildung und Betreuung investieren müssen, um zukunftsfähig zu bleiben. Und zum Dritten: Die Stadt war immer auch Konjunkturmotor für die Bauwirtschaft, wenn der private Bausektor stagniert. So ist es jetzt auch, wenn viele Bauherren ihre Aufträge zurückgeben.
Denn mit wem wollen wir denn die vielen Bauvorhaben unseres Investitionsplanes umsetzen, wenn die Handwerksbetriebe die Flügel strecken?
Herr Oberbürgermeister, wir haben Ihnen vor wenigen Tagen unsere Vorstellungen zur Gestaltung des Busbahnhofes weitergegeben. Er ist dort, wo er heute ist, gut platziert. Aber er ist ein Schandfleck. Viele Frauen meiden ihn bereits bei angehender Dunkelheit - und ehrlich gesagt fühle ich mich auch nicht besonders heimisch, wenn ich ihn kreuze.
Bevor eine Bürgerbeteiligung gestartet wird, müssen die Busunternehmen auf ihren Bedarf abgefragt werden. Der Busbahnhof muss nach der Neugestaltung vor allem funktional sein, wenn er akzeptiert werden soll. Im Zweifel haben städtebauliche Wünsche hinter dieser Funktionalität zurückzustehen.
Und wir brauchen ein Konzept zur Sauberkeit und Sicherheit auf dem Gelände und sprechen uns für eine Videoüberwachung aus.
Wir glauben, dass mit einem attraktiven Busbahnhof und gut nutzbaren Bushaltestellen die Attraktivität des Nahverkehrs gesteigert werden kann, weil damit Wertschätzung zum Ausdruck kommt, die bisher fehlt.
Wir danken der Verwaltung, dass sie im Finanzierungszeitraum bis 2026 über eine Million Euro in die barrierefreie Ausgestaltung der Bushaltestellen berücksichtigt hat. Wir wünschen uns die Umsetzung.
Der beste Weg, die Menschen vom Auto in andere Verkehrsmittel zu bringen, ist, ihnen attraktive Alternativen anzubieten. Wer lehnen Schikanen gegen Autofahrer ab. Also auch flächendeckende Parkplatzgebühren selbst in Wohngebieten.
Es gibt auch kein Ökodiktat. Jede Maßnahme braucht hier für sich genommen eine demokratische Mehrheit.
So wie wir jede vernünftige Maßnahme in den Radverkehr befürworten, so wollen wir den Bus in Nürtingen attraktiv machen. Das 9-Euro-Ticket hat einen Haufen Tagestouristen hervorgebracht. Aber der Pendler blieb im Auto sitzen. Einfach nur auf billige Tickets zu setzen, ist offensichtlich ein Holzweg. Es geht um Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Taktung, Sauberkeit, Sicherheit, Anschlüsse.
Und dass die Züge in Nürtingen sehr häufig zu spät ankommen, sodass z. B. am Abend der Anschlussbus regelmäßig verpasst wird, ist nicht Schuld der Stadt, sondern eines grünen Verkehrsministers, der die Ausschreibung auf den Zugstrecken völlig verhunzt hat.
Die Verbesserung der Attraktivität des Nahverkehrs ist unser Beitrag zur Klima- und Mobilitätsdiskussion in Nürtingen.
Mit der Sintflut im Ahrtal und dem Ukrainekrieg ist der Zivilschutz wieder mehr in den Vordergrund getreten. Wir bedanken uns bei der Verwaltung, dass Sie unseren Antrag, mindestens für jeden Stadtteil Sirenen anzuschaffen, im Haushaltsplan mit 300.000 Euro hinterlegt hat. Wir erwarten, dass 2023 der Kauf erfolgt.
Unser Wunsch, den Zivilschutz auch öffentlich offensiv darzustellen und den Menschen Hilfen zu geben, wird niemand mehr als Unkenruf abtun können.
Es geht dabei nicht um Waschlappen. Solche Tipps sind in der Tat läppisch.
Aber der Staat ist für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger verantwortlich. Die ersten Städte der Geschichte wurden gegründet, um Schutz zu bieten. Könige hatten als Hauptaufgabe den Schutz der Untertanen. Das ist die Kernaufgabe eines Staates.
Auch wenn ein anhaltender Stromausfall eher unwahrscheinlich ist - wappnen müssen wir uns darauf. Denn dann geht es in die Grundfesten: Wie wird die Bevölkerung informiert? Wie kann sie Vorsorge zur Eigenversorgung z.B. mit Wasser und Lebensmittel leisten? Was ist denn sinnvoll und was einfach nur Ballast? Wie wird in diesem Fall überhaupt Sicherheit garantiert, wenn alles dunkel bleibt? Wie funktionieren Toiletten und die Wasserversorgung?
Wir müssen den Menschen nicht nur Hoffnung - das tun sie, Herr Oberbürgermeister - sondern auch ein Verantwortungsgefühl für das geben, was vielleicht kommen kann. Entscheidend wird dann sein, dass die Menschen vorher selbst Eigenvorsorge treffen.
In welcher Form sich die Gas- und Stromknappheit und deren Preisentwicklung auf den Industriestandort Deutschland auswirken, ist noch offen. Wenn das Ziel einiger Radikal-Klimaschützer, nämlich Deutschland zu deindustrialisieren, über den Umweg der Energiepreise Wirklichkeit werden wird, dann gehen hier bei uns die Lichter aus.
Die Leute werden den damit verbundenen Wohlstandsverlust nicht akzeptieren. Dieser Winter - und das ist jetzt kein Unkenruf - wird die größte Herausforderung für unsere Demokratie überhaupt werden.
Das laufende Jahr 2022 ist ganz besonders vom Zuzug von Flüchtlingen aus der Ukraine geprägt. Zwischenzeitlich ist das Niveau der Jahre 2015 und 2016 überschritten. Ein Ende ist nicht in Sicht.
Es war ein Grundfehler der Bundesregierung, diese Flüchtlinge sofort in den Bezug von Hartz IV zu nehmen. Wenn zum Jahreswechsel das neue sanktionslose Bürgergeld mit noch mehr Leistungen eingeführt wird, dann wird das zu einer Sogwirkung in Europa führen. Und zwar zusätzlich zu dem, was angesichts der Dauer des Krieges sowieso auf uns zukäme. Dann sind die Anreize derart groß, dass alle mindestens darüber nachdenken, nach Deutschland zu gehen. Das erleben wir doch bereits heute. Das muss doch jedem hier im Saal klar sein, dass es dann ganz schwer werden wird für uns, nicht nur finanziell.
Die Entscheidungen, die wir nachher treffen müssen, zeigen klar, dass wir jetzt ans Eingemachte gehen. Selbst 2016 blieben der Stadt Sporthallenbelegungen erspart. Aber wenn diese Anreize nicht abgeschafft werden, dann werden wir Sporthallen belegen und gleichzeitig Containerdörfer bauen müssen.
Das war jetzt hoffentlich ein Unkenruf!
Wir bitten die Vertreter der Ampelparteien, über ihre Abgeordneten - es gibt ja von jeder Partei eine Vertreterin oder einen Vertreter im Wahlkreis - darauf hinzuwirken, dass diese vorhersehbare Überforderungen der Städte und Gemeinden nicht kommt.
Denn dann schaffen wir es nicht, ohne Gräben aufzureißen!
Und lassen Sie mich eine Aussage, die in solchen Diskussionen immer kommt, korrigieren: Deutschland sei doch ein wohlhabendes Land und könne teilen.
Deutschland ist aus demografischer Sicht kein wohlhabendes Land und hat viele ungelöste Probleme hinsichtlich der Finanzierung seines Sozialstaates in der Zukunft. Und anstatt diesen Sozialstaat mit immer neuen Ansprüchen zusätzlich zu belasten, wünsche ich mir eine Diskussion darüber, was ein Sozialstaat überhaupt leisten und wo an die Eigenverantwortung der Menschen appelliert werden muss.
Der Verwaltung danken wir für die Vorarbeit zu diesem Haushaltsplan. Sie nimmt bereits viele Selbstbeschränkungen auf sich, um die Ausgabenseite der Stadt zu verbessern. Deshalb stellen wir erneut keinen Antrag, hier im Zweifel auch nur kosmetische Korrekturen vorzunehmen. Es geht als Arbeitgeber auch darum, attraktiv zu sein.
Frau Sautter und ihrem Team ein besonderes Dankeschön. Wir haben uns im Vorfeld sehr gut eingebunden gefühlt. Fragen wurden umgehend beantwortet. Eine tolle Leistung. Der Dank geht an die Verwaltungsspitze und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die alle ihr Bestes für Nürtingen geben.
Nürtingen, 11. Oktober 2022
Die CDU-Gemeinderatsfraktion:
Thaddäus Kunzmann, Vorsitzender
Andreas Deuschle, stv. Vorsitzender
Dr. Matthias Hiller
Karl-Heinz Jetter
Norbert Morgenthaler
Bernd Weber
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