Rede zum Haushaltsplan 2022
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Fridrich, sehr geehrte Frau Sautter, verehrte Damen und Herren der Verwaltung, des Gemeinderates und der Zuhörerschaft,
bedeutungsvollen Haushaltsreden stellt man ja immer ein Zitat voran. Ich will es mit Anthony Eden versuchen, dem britischen Außenminister der Weltkriegsjahre: "Jeder erwartet vom Staat Sparsamkeit im Allgemeinen und Freigiebigkeit im Besonderen".
Und füge mit eigenen Worten an: Wegen Sparsamkeit ist noch kein Politiker gewählt und wegen Freigebigkeit noch keiner abgewählt worden. Allgemeine Schuldensituation Alleine 2020 wuchsen die Schulden auf allen bundesdeutschen Ebenen zusammen um 275 Milliarden Euro. Dazu kommen die Neuschulden in 2021 und der europäische Schuldenfonds, sodass wir davon ausgehen müssen, dass uns alleine diese beiden Jahre rund eine halbe Billion Euro kosten werden. Für Deutschland ist das schon schlimm genug. Demografisch bedingt schrumpft die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und die geburtenstarken Jahrgänge sind in der Schlusskurve ihres Berufslebens.
In der Sommerpause hatte ich Zeit, eine ältere Ausgabe von SPIEGEL Geschichte mit dem Titel „Crashs & Krisen“ zu lesen. Jede einzelner Artikel berichtete im Ergebnis über Überschuldung, Spekulantentum und dem Drang nach immer billigeren Geld. Alle diese Geschichten endeten am Schluss im Bankrott.
Das möchte ich vorausschicken, einfach um zu sagen, dass mir die heutige volkswirtschaftliche Entwicklung Sorgen macht. Im Ergebnis erleben wir ja auch, dass die Null-Zins-Politik einerseits, also das „billige Geld“ mit einer Fahrt aufnehmenden Inflation korrespondiert.
Auch Nürtingen hat sich seinen gestalterischen Spielraum vom Regierungspräsidium deutlich ausweiten lassen. Waren vor wenigen Jahren noch 40 Millionen Euro neue Schulden erlaubt, sind es jetzt 74 Millionen Euro. Zur Ehrenrettung sei gesagt, dass weder der 40-Millionen-Rahmen ausgenutzt wurde noch der 74-Millionen-Rahmen ausgenutzt werden wird.
Denn: Und das haben ja OB Dr. Fridrich und Kämmerin Frau Sautter deutlich gemacht:
Wir nehmen uns zuviel vor.
Die Haushaltsüberträge von 2020 nach 2021 summieren sich auf sagenhafte 22 Mio. Euro. Gemeinsam mit den Kreditermächtigungen ist das inzwischen ein Schattenhaushalt geworden, über den wir als Gemeinderat die Übersicht verloren haben. Wir haben als CDU-Fraktion das Problem dieser Haushaltsüberträge bereits im vergangenen Jahr in einem Antrag angesprochen. Es ist gut, dass Dr. Fridrich und Frau Sautter nun ihrerseits aktiv herangehen werden.
Es stellt sich tatsächlich die Frage, ob wir nicht zu Doppelhaushalten im Zweijahresrythmus überwechseln sollten. Wir stellen einen entsprechenden Antrag, wohlwissend, dass der Gemeinderat vor einigen Jahren dem nicht gefolgt ist.
Wenn wir die Liste der Haushaltsüberträge ins Jahr 2021 betrachten, dann fällt uns auf, dass vor allem die Schulen regelrecht gefüllte Sparbücher angesammelt haben. Alleine das Schulleiterbudet hat sich in Summe zum Jahresende auf 730.200 Euro angesammelt. Dazu kommen noch 36.000 Euro aus dem Investitionsbereich. Von den Mitteln zur Digitalisierung wurden 385.000 Euro übertragen (gleich 80% des zur Verfügung stehenden Budgets), von den coronabedingten Schulmitteln 239.300 Euro (gleich 62% des zur Verfügung stehenden Budgets).
In der Summe sind dies rund 1,35 Mio. Euro an Haushaltsmitteln, die die Schulen zum Jahresende nicht abgerufen haben. Wir beantragen einen Bericht über den aktuellen Stand heute sowie über die Pläne der Schulen, dieses Budget abzubauen.
Personal- sowie Sachkosten
Die Kämmerei hat bereits im Vorfeld der Einbringung dieses Haushalts eine deutliche Reduzierung der Personal- sowie der Sachkosten verordnet. Die Wiederbesetzungssperre sowie die Umstellung bei den Bausteinen in der Kinderbetreuung sparen uns jährlich rund eine halbe Million Euro an Personalkosten. Eine allgemeine Reduzierung bei den Sachausgaben in Höhe von 5% kommt hinzu.
Wir anerkennen diese Leistung und stellen aus diesem Grunde in diesen Bereichen keine Anträge. Nicht, weil wir phantasielos wären, sondern weil eine solche Sparleistung auch erst einmal umgesetzt werden will.
Und doch gieße ich Wasser in den Wein. Die Personalkosten sind trotz alledem ein stetig wachsender Anteil im Haushalt, der größte Brocken bei den Ausgaben:
Seit 2015, also in sieben Haushaltsjahren sind sie um 41 Prozent angestiegen.
Und die Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen erhöhen sich trotz der globalen Reduzierung von fünf Prozent immer noch um zwei Prozent.
Wir bedauern immer noch sehr, dass der Gemeinderat bestehende Chancen nicht ergreift. So würden sich über eine maßvolle Umstellung unserer Reinigungsleistungen von etwas weniger Eigen- auf etwas mehr Fremdreinigung im Jahr rund 150.000 Euro einsparen lassen.
OB als „Dr. No“
Herr Oberbürgermeister Dr. Fridrich, Sie hatten ja – sozusagen als Anerkennung - in ihre eigene Haushaltsrede die heimliche Liebe von Frau Sautter zu James Bond integriert. Gottseidank haben Sie uns die Chance gelassen, da auch noch einen eigenen Beitrag zu leisten. Wenn ich also für die CDU einen Wunsch äußern dürfte, dann den, dass Sie, Herr Dr. Fridrich etwas öfters die Rolle des Dr. No – englisch ausgesprochen Dr. No – schlüpfen.
Es wäre nämlich eine kleine Sensation, wenn sich herausstellen würde, einer von Ihnen wäre plötzlich Goldfinger.
Anteil der Stadt Nürtingen an der Einkommenssteuer
Und nun zu unserer Lieblingszahl der vergangenen Haushalte, nämlich des Anteils der Stadt Nürtingen an der Einkommenssteuer. Dieser beträgt seit 2021 für drei Jahre 0,0036254 Prozent vom Gesamtkuchen der Einkommenssteuereinnahmen. Unser Anteil verringert sich seit 20 Jahren kontinuierlich und lag im Jahr 2000 bei 0,0041357 Prozent.
Der Kuchen ist ja immer 100 Prozent groß. Das heißt, wir schrumpfen und andere wachsen. Hätten wir heute noch den Anteil aus 2000, stünden uns 2022 3,4 Mio. Euro mehr im Haushalt zur Verfügung – vieles könnten wir entspannter diskutieren.
Wir müssen an die Ursachen unserer strukturellen Steuerschwäche ran – bei der Einkommenssteuer und bei der Gewerbesteuer. Einen anderen Weg gibt es nicht. Wir sehen den Verwaltungshaushalt faktisch weitgehend als nicht veränderbar und beim Investitionshaushalt werden wir uns den notwendigen Sanierungs- und Baumaßnahmen nicht verweigern.
Gewerbeentwicklung
Wir unterstützen die Verwaltung bei der Entwicklung weiterer Gewerbeflächen im Großen Forst und im Rammert. Auch wenn das einen Flächenverbrauch bedeutet, brauchen wir die neuen Unternehmen für neue Arbeitsplätze. Die Veränderungen in der Automobilindustrie mit der Umstellung auf die Elektromobilität wird auch die Zuliefererbetriebe und deren Mitarbeiter besonders treffen. Die Schaffung von Gewerbeflächen ist also auch eine soziale Frage.
Gerade in der Bachhalde und im Großen Forst haben sich interessante und hoch innovative Unternehmen angesiedelt, die z.T. Weltmarktführer auf ihrem Gebiet sind. Hier hat der Zweckverband richtig gute Arbeit geleistet.
Wohnraumentwicklung
Was wir genauso brauchen ist Wohnraum. In der vergangenen Gemeinderatssitzung haben wir die Quote für den sozialen Wohnbau festgelegt. Es war ein langer Weg zum Kompromiss. Eine zu hohe Quote wirkt sich preistreibend für all diejenigen aus, die nicht gefördert werden, aber auch suchen. Mit 40 Prozent haben wir einen Mittelweg gefunden.
Wir brauchen jetzt Bauland für diejenigen, die sich unter normalen Umständen selbst ein Eigenheim leisten könnten. Das ist die Mittelschicht und die kommt bei uns immer mehr unter die Räder. Die Nullzinspolitik treibt den Immobilienmarkt an und die Preise, die dort inzwischen bezahlt werden, schießen durch die Decke.
Ich höre, auch hier im Gemeinderat, immer wieder, der Markt versage bei der Wohnungsversorgung. Das ist eine sehr einfache Antwort und sie stimmt noch nicht einmal. Kein Markt in Deutschland, vielleicht nach der Waffen- und Pharmaindustrie, ist derart reguliert wie der Wohnungsmarkt. Und ständig wird nachgelegt. Auch wir mit unserer Sozialquote, mit Infrastrukturabgabe, Grundsteuererhöhung, Wertsteigerungsabgabe, Nürtinger Modell usw. legen ständig nach.
Wir halten Grundstücke zurück, anstatt sie an den Markt zu geben. Und anstatt sich zu fragen, ob wir nicht zuviel regulieren, rufen wir: „Wir brauchen noch mehr davon.“
Die Rolle der GWN
Die GWN kann in einem überschaubaren Maße Wohnungen schaffen und das unterstützen wir.
Wir sind Dr. Fridrich dankbar, dass er aktiv unseren Gedanken aufgreift, sich endlich unserer Möglichkeiten bewusst zu werden und am Markt Partner zu suchen, die das bauen, was gebraucht wird. Das hat im übrigens bestens im Pfluggarten funktioniert, es funktioniert auf dem Gelände der Alten Psychatrie, in der Rümelinstraße und es wird auch auf unserem Restgrundstück im Inneren Gänsslesgrund, auf dem Gebiet der Alten Ziegelei und auf vielen weiteren Flächen funktionieren. So entstehen Wohnungen – und nicht durch Wunschdenken.
Bauwünsche von jungen Familien
Und dann gibt es immer noch die jungen Familien, die sich das eigene Haus mit kleinem Garten wünschen. Abgesehen von Baulücken und vereinzelt an den Markt gehenden Häusern haben wir für diese Familien derzeit nichts im Angebot! Wir wünschen uns den Erfolg der Bergäcker. Alles andere kommt für uns nicht in Frage. Und damit diese jungen Familien auch ein Gesicht bekommen, möchte ich die Familie Mustermann vorstellen.
Diese Familie Mustermann hat uns Gemeinderäten zum Jahreswechsel eine Mail geschrieben.
Sie suche ein Baugrundstück für ein Häusle zum Kauf und sie fände nichts und sei frustriert.
Jeder von uns hat diese Mail erhalten. Jetzt frage ich einmal in die Runde:
Wann haben wir bei den vielen Diskussionen um die Baulandentwicklung, dem Nürtinger Modell oder um die Kriterien zur Baulandvergabe über das Anliegen dieser Familie gesprochen? Wann stand das berechtigte Interesse dieser Familie bei uns im Mittelpunkt?
Es geht nicht einzig und allein um den sozialen Wohnungsbau. Wir brauchen genauso diese Familien hier, die sich das Bauen leisten könnten, aber nichts finden.
Das war der Grund, warum wir von der CDU diesen Druck um die Bergäcker aufgebaut haben. Und wir finden, dass auch die Bahnstadt zuallererst kein Experimentierfeld sein kann, sondern den Wohnwünschen von Otto Normalverbraucher entsprechen muss.
Unsere weiteren Anträge:
Ich komme nun zu unseren weiteren Anträgen und weise darauf hin, dass keiner dieser Anträge den Haushalt im negativen Sinn belastet.
1. Verwendung des Minderaufwands bei der Senkung der Kreisumlage
Die Kreisumlage wird nicht, wie von der Verwaltung unterstellt, 30,8 sondern lediglich 29,3 Prozentpunkte betragen. Das sind dann ca. 445.000 Euro weniger. Wir beantragen, diesen Minderaufwand in voller Höhe zur Verbesserung des Haushalts zu verwenden und nicht zur Gegenfinanzierung neuer, womöglich laufender Leistungen.
2. Nur dringend erforderliche Sanierungsmaßnahmen an der Berliner Straße und Verschiebung der Sanierung der Oberboihinger Straße
Die Berliner Straße ist im Fußgängerbereich beschädigt und dort zum Teil gesperrt. Das muss saniert werden. Eine gleichzeitig umfassende Umgestaltung des Straßenraums im Volumen von 1,5 Mio. Euro halten wir nicht für erforderlich. In der Oberboihinger Straße ist der Belag schlecht. Solange jedoch noch keine Entscheidung im Hinblick auf die Nutzung des ehemaligen Güterbahnhofareals sowie zur Hochschulfrage getroffen ist, halten wir eine derart tiefgreifende Sanierung nicht für zweckdienlich und beantragen die Verschiebung um ein Jahr.
3. Zukunft der Zweitwohnungssteuer
Die Einnahmen aus der Zweitwohnungssteuer sinken. Sie erfordern einen bürokratischen Aufwand mit Personalmehrbedarf. Wir bitten im Vorfeld der nächsten Haushaltsberatung um eine Vorlage der Einnahmen und dafür notwendigen Ausgaben der Zweitwohnungssteuer. Daraufhin können wir beraten, ob wir diese weiterhin erheben wollen.
4. Personalgewinnung zur Kinderbetreuung
Wir bitten um einen Bericht im KA, ob die Bemühungen der Verwaltung zur Personalgewinnung zu den Fertigstellungsterminen der neuen Einrichtungen zur Kinderbetreuung passen und welche Maßnahmen die Stadt ergreift, um ausreichend Personal zur Kinderbetreuung zu gewinnen.
5. Rückschau zum Projektverlauf beim Hölderlinhaus sowie bei der Tiefenbachbrücke
Wir bitten die Verwaltung um eine Rückschau zum Projektablauf beim Hölderlinhaus sowie bei der Brücke im Tiefenbachtal mit dem Ziel der Verbesserung bei zukünftigen Projekten.
6. Neustrukturierung der Außenbewirtschaftungsgebühren
Wir erinnern an unseren Antrag vom letzten Jahr: Die Außenbewirtschaftsgebühren sollen sich zukünftig an den Bodenrichtwerten pro qm orientieren. Davon werden dann jährlich drei Prozent erhoben, unabhängig von der Dauer der Außenbewirtschaftung. Bei einer Verpflichtung auf mehrere Jahre kann die Außenbewirtschaftungsgebühr auch sinken.
7. Wir mahnen erneut ein Konzept zur Einrichtung eines Abendmarktes an.
Was wir nicht beantragen: Erneut könnten wir die Situation am Busbahnhof thematisieren. So wie er ist kann er nicht bleiben. Er ist, um das deutlich zu sagen, ein Schandfleck.
Wir haben im letzten Jahr den Antrag gestellt, diese Situation zu verbessern und wurden auf Entscheidungen im laufenden Jahr vertröstet. Würden wir heute wieder denselben Antrag stellen – er wäre gerechtfertigt – dann erhielten wir dieselbe Antwort. Wir wissen, dass vieles von der Entscheidung zum Hochschulbau und vom Kauf des alten Güterbahnhofgeländes abhängt. Wenn diese vorliegt, muss aber entschieden werden, auf jeden Fall im nächsten Jahr.
Eine nachhaltige Verkehrswende funktioniert vor allem dann, wenn dem Autofahrer eine Alternative dafür angeboten wird, dass er weniger Auto fährt. Schikane, ob nun über einen absurd niedrigen Stellplatzschlüssel oder der willkürlichen Straßenverengung halten wir für den falschen Weg. Sehr wohl unterstützen wir den Ausbau sicherer Radverkehrsverbindungen. Aus diesem Grunde haben wir auch dem Budget über 250.000 Euro zugestimmt, ebenfalls der Einstellung eines Radkoordinators. Jetzt freuen wir uns über konkrete Umsetzungsschritte.
Eine schlechte Alternative zum Auto ist wie gar keine Alternative. Das eigene Auto fährt immer auf Gleis 1 ab und ist – mindestens was die Abfahrtszeit betrifft – immer pünktlich. Und mein Sitzplatz ist auch immer sicher.
Deshalb auch unser Drängen auf pünktliche, verlässliche und ausreichend dimensionierte Züge.
Dank an die Verwaltung Zum Abschluss danke ich namens der ganzen CDU-Gemeinderatsfraktion der Verwaltung für ihre Arbeit für Nürtingen. An der Spitze steht Oberbürgermeister Dr. Johannes Fridrich. Ein Gang durch die Fußgängerzone zum Neckar hin zeigt die Veränderungen in unserer Stadt zum Positiven hin. Wir unterstützen auch ausdrücklich ihre liberale Haltung bei der Handhabung von Veranstaltungen und Aktivitäten entlang der Coronaverordnungen.
Der Dank geht an Frau Sautter und ihrem Team für die gründliche Vorberatung des Haushaltsplans. Auch für die Tatsache, dass wir bereits im Vorfeld sehr gut einbezogen wurden.
Wir danken allen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ämtern, bei der GWN, in den Kindergärten, in den Schulen und im Bauhof, bei den Stadtwerken, in den technischen Gewerken und in den Rathäusern hier und in den Ortschaften!
Thaddäus Kunzmann, 19. Oktober 2021
Comments