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Von der Besetzung zur 1. Gemeinderatswahl: Die Anfänge des demokratischen Lebens in Nürtingen


Für Nürtingen war der 2. Weltkrieg am 22. April 1945 beendet. Die Stadt selbst wurde von amerikanischen Truppen besetzt, jenseits des Neckars, also vor allem in Oberensingen rückten die Franzosen ein. Die einzige Verbindung, die Neckarbrücke, war zerstört. Erst 1947 konnte die neu gebaute Brücke wiedereröffnet werden.

Der Zustand der geteilten Stadt wurde jedoch bald wieder beendet, einigten sich doch die beiden Besatzungsmächte darauf, dass die US-Truppen die Landkreise nördlich der Autobahn besetzten und somit gehörte der gesamte Landkreis Nürtingen zur amerikanischen Besatzungszone. Nur wenige Tage vor der Besetzung trat der nationalsozialistische Gemeinderat zu seiner letzten Sitzung zusammen. Es gab für ihn nichts mehr zu beschließen. Der Krieg war verloren und so wartete ein jeder gespannt und wahrscheinlich auch mit Angst auf die bevorstehenden Ereignisse.

Die Besatzungstruppen suspendierten den amtierenden Bürgermeister August Pfänder und reaktivierten Alt-Bürgermeister Hermann Weilenmann, der dieses Amt bis 1938 ausgeführt und in der Weimarer Republik den Demokraten nahe gestanden hat. Er galt als unbelastet und wurde beauftragt, nach der Kapitulation die Geschäfte in Nürtingen weiterzuführen. Der Amtsrahmen war dabei gering. Im Rathaus selbst residierte ein Vertreter der Besatzungsbehörden, der nicht nur jede Amtshandlung der Verwaltung kontrollierte, sondern ihr sogar direkt Anweisungen gab. War der Ton zu Beginn sehr rau, sollte sich dies jedoch bald legen. Die Aufgaben waren einfach zu groß, um sich taktischen Gefechten zu widmen. Weilenmann war Verwaltungsfachmann, der nach dem Krieg den Liberalen nahe stand. Keine Berücksichtigung fand der amtierende, nationalsozialistische Gemeinderat. Er wurde, so scheint es, einfach nicht mehr wahrgenommen. Somit fand zu Beginn keine demokratische Meinungsbildung und Kontrolle statt. Die Geschäfte führten die Verwaltung und die Militärbehörden.

Mit der Gründung des Landes Württemberg-Baden, das die amerikanische Besatzungszone nördlich der A 8 umfasste, wurde der rechtliche Rahmen für eine Neukonstituierung einer demokratischen Verwaltung geschaffen. Anfangs nur in sehr engem Rahmen fingen die Deutschen an, sich wieder selbst zu verwalten. Dazu gehörte die Wahl demokratischer Gremien und die Militärregierung beschloss, für den 27. Januar 1946 also ca. 8 Monate nach der Kapitulation, Wahlen für die Gemeinderäte anzusetzen. Dies war der Startschuss für eine Reihe von Wahlen im 2. Nachkriegsjahr, denn es folgten im April die Kreistags- und im Juni die Landtagswahlen.

Eine ungeheure Herausforderung für eine Verwaltung, die durch die 12jährige nationalsozialistische Zeit „wahlunerfahren“ geworden ist. Zumal die politischen Parteien auch erst in Bildung waren und niemand vorhersehen konnte, wie sich die politische Konstellation entwickelt.

Die bevorstehende Gemeinderatswahl war dann auch der Anlass für die Gründung neuer Parteien. Neben der SPD und der KPD, die bereits unmittelbar nach dem Krieg an ihre alte Tradition anknüpfen konnten, bildeten sich Gruppen, die die Gründung von bürgerlichen Parteien anstrebten. Dabei war zu dieser Zeit völlig ungewiss, ob sich eine gemeinsame Volkspartei aus Liberalen, Christlichen und Konservativen bilden, oder eine Trennung stattfinden würde.

Tatsächlich hatten die Liberalen in Nürtingen ein starkes Fundament. So kam es zur Gründung der FDP/DVP, die an die Tradition der Demokraten der Weimarer Republik anknüpfte. Dem stand eine Neugründung aus Christlichen und Konservativen, verstärkt durch Liberale gegenüber: Die Christlich-Soziale Volkspartei, wenig später die CDU.

Treibende Kraft in Nürtingen war dabei insbesondere Johannes Sonn. Der Kaufmann war bereits zur Zeit der Weimarer Republik Mitglied des Gemeinderats und bildete dort gemeinsam mit dem Gymnasiallehrer Paul Frauer die Fraktion des „Christlich-Sozialen Volksdienstes“. Der CSVP war eine evangelische und konservative Gruppierung, in Württemberg eher eine Splitterpartei. Dieser neuen Partei schlossen sich ehemalige Mitglieder des Bauern- und Weingärtnerbundes, sowie des Zentrums an. Bereits im Dezember 1945 begannen die ersten Gespräche, als Gründungsdatum können wir den 8. Dezember 1945 annehmen. An diesem Tag traf sich, so der Bericht an die Militärregierung, eine kleine Gruppe, um die Gründung der CDU vorzubereiten. Inwieweit bereits parteiinterne Wahlen stattgefunden haben, kann heute nicht mehr nachvollzogen werden. Tatsächlich trat in Folge Johannes Sonn der Militärregierung gegenüber als Ort- und Kreisvorsitzender auf.

Die Gründung der CDU wurde bei einer Veranstaltung am 14. Dezember 1945 öffentlich verkündet. Im Anschluss wurde eine Liste von 16 Männern (keine Frauen) erstellt, die zur ersten Wahl des Gemeinderats zur Verfügung stand.

Diese Wahl am 27. Januar 1946 wurde für die CDU ein großer Erfolg. Von den 24 zu wählenden Räten erhielt die Union 10 Sitze. 6 Sitze gingen an die Liberalen, 5 an die SPD und 3 an die KPD. Damit gab es in der Stadt Nürtingen eine neue demokratische Legitimation und Kontrolle.


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